Buchpublikationen 2020

GRUBER: Die polyfrontale Avantgarde

Die polyfrontale Avantgarde. Medien und Künste 1912-1936

Die Geschicke der Avantgarde überdauerten ihr Schicksal: ihre Liquidierung. Dass die Erfindungen der Avantgarde das 20. Jahrhundert der Abstraktion, der Massenmedien und der Massaker bestimmten, dass ihre Arsenale bis heute von der Unterhaltungsindustrie und Werbebranche geplündert werden, dass Avantgardistisches zwar bonsaïsiert und fragmentarisiert, aber doch in alle Bereichen der Massenkultur sich infiltriert hat, ist offenkundig. So erfüllt sich ein Traum der Avantgarde – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Weit entfernt von der Konstruktion möglicher Welten, abgeschnitten von der Zirkulation utopischer Entwürfe, eingemeindet in einfältige Expansion, verkommen die avantgardistischen Intentionen im Ersatzteillager des Normalltags. Dabei haben die Ingenieure – wie sich die Künstler der russischen Avantgarde Anfang der 1920er Jahre voll Stolz nannten – nicht nur den technischen Erfindungen ästhetische Verfahren abgewonnen, in ihren theoretischen und künstlerischen Arbeiten sind sie über die gegebenen technischen Möglichkeiten weit hinausgegangen.

Was macht die historische Avantgarde zu unserer Zeitgenossin?

»Polyfrontal« – kein Wort, das in Wörterbüchern zu finden wäre, aber trotzdem intuitiv leicht zu verstehen ist. Die Fronten der Avantgarde-Künste im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verliefen jedenfalls quer durch Europa: durch Italien und Russland, durch Frankreich, Deutschland und die Schweiz. Mit ihren ungestümen ästhetischen Anschlägen auf den »öffentlichen Geschmack« überwand die Avantgarde die bisherigen Wahrnehmungsgewohnheiten und kündigte eine neue Art die Welt zu sehen an. In seiner umfassenden Studie zeigt Klemens Gruber, Professor für Intermedialität an der Universität Wien, wie aufbauend auf diesen avantgardistischen Vorstößen intermediale Phänomene zur dominierenden kulturellen Realität geworden sind. Im Jahrhundert der verwischten Genres und der struppigen Codes schuf die Verbindung von Kunst und Technik – von der Inszenierung der Schrift bis zur »Kinofizierung« der Künste – gänzlich neue Ausdrucksformen, die nicht länger mit den herkömmlichen Begriffen künstlerischer Kreativität beschrieben werden können. Die Avantgarde hatte die naturalistische Landschaft verlassen. Ihre Kunst entstand in prinzipieller Auseinandersetzung mit den modernen Massenmedien. Schon die Fotografie hatte die Malerei dazu gebracht, mit allen Formen der Imitation bis hin zur Abstraktion zu brechen. Das Kunstwerk als Abbild – gemalt »nach der Natur« – hatte seinen Sinn verloren, die Künstler waren gezwungen, »nach ihren Ideen« zu arbeiten, wie Marcel Duchamp einmal sagte. Und sie stellten die Welt unter dem Aspekt ihrer Veränderbarkeit dar. Die Untersuchung zeigt, welche Weichenstellungen in den 10er und 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch möglich schienen, welche Alternativen in Reichweite lagen, welche Niederlagen ausweichlich waren. Für Klemens Gruber haben in der Polyfrontalen Avantgarde die Bilder oftmals den Überlegungen Kontur verliehen, bisweilen den Text organisiert, und ihre Präsentation soll diese argumentative Dynamik nicht zum Verschwinden bringen. Durch ihre Anordnung verweisen die Bilder auf andere – andere Bilder und andere Anordnungen.

Klemens Gruber
Die polyfrontale Avantgarde
Medien und Künste 1912-1936

240 S., Broschur, zahlreiche Abb.
ISBN 978-3-85449-551-2

SCHMID-REITER (Hg.): Worttonmelodie

Die Herausforderung, Wagner zu singen

Herausgegeben von Isolde Schmid-Reiter

Nach dem ebenfalls von der Europäischen Musiktheater-Akademie herausgegebenen Band „Poetischer Ausdruck der Seele“: Die Kunst, Verdi zu singen reflektiert die vorliegende Publikation das Phänomen des Wagner-Gesangs, in Grundfragen wie in Details und den Zielsetzungen der Akademie entsprechend aus wissenschaftlicher Perspektive wie aus praktischer Erfahrung. Worin liegt die besondere Herausforderung, Wagner zu singen? Wie definiert sich eine ‚Wagner-Stimme‘ und welche fundamentalen Merkmale bestimmen eine sogenannte ‚große Stimme‘, über deren Mangel immer wieder Klage geführt wurde und wird?
Wagners eigene Ideen und Ideale im Spannungsverhältnis zwischen Anforderungen und Realisierbarkeit, seine Äußerungen über Gesangsästhetik und seine in zahlreichen Schriften dargelegten Ansprüche und Desiderata werden in diesem Zusammenhang nochmals hinterfragt: Die „Worttonmelodie der menschlichen Stimme“, von der Wagner in Oper und Drama schreibt, als eine Symbiose von ‚Wortsprache‘ und ‚Tonsprache‘, Wagners mitunter zum missverstandenen Dogma erhobene Idee des Sprachgesangs und ihre Bedeutung für die Gesangstechnik sowie seine Vorstellung von „Gesangswohllaut“ und „deutschem Belcanto“, Stimmfächer und Stimmtypen in seinen Werken und die Frage nach dem Sänger-Darsteller im Heldenfach werden in Beiträgen internationaler Wissenschaftler und weltweit renommierter Wagner-Interpreten aus historischer wie aktueller Perspektive zur Diskussion gestellt.

Mit Beiträgen von Piotr Beczala, Aviel Cahn, John Deathridge, Angela Denoke, Tatjana Gürbaca, Clemens Hellsberg, Germinal Hilbert, Kasper Holten, Tomasz Konieczny, Thomas Lausmann, Marjana Lipovšek, Laurenz Lütteken, Christoph Ulrich Meier, Dominique Meyer, Stephan Mösch, Andrew Moravcsik, Dirk Mürbe, Deborah Polaski, Thomas Seedorf, Isolde Schmid-Reiter, David Trippett, Susanne Vill, Simone Young

Isolde Schmid-Reiter
Die Herausforderung, Wagner zu singen

Regensburg, ConBrio
304 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-940768-5

 

 

GOTTO/LEDERLE (Hg.): Hollywood im Zeitalter des Post Cinema.

Hollywood im Zeitalter des Post Cinema. Eine kritische Bestandsaufnahme

Eine kritische Bestandsaufnahme

Herausgegeben von Lisa Gotto und Sebastian Lederle

Wenn von Hollywood die Rede ist, meint man mehr als nur einen abendfüllenden Spielfilm. Hollywood verkörpert eine bestimmte kulturelle Rolle des Kinos und kommt damit nicht nur als und im Film vor: Es kann auch durch seine Filme exemplarisch vorführen, was Kino sein kann. Doch was ist an Hollywood als einer zentralen Gestalt des Erzählkinos in Zeiten des Post Cinema immer noch interessant? Wie kann man über Hollywood nachdenken, ohne die Dichotomie zwischen europäischer Avantgarde und US-amerikanischer Unterhaltung zu reproduzieren?  Und wie reagiert Hollywood auf die zunehmenden Serialisierungs- und Remedialisierungstechniken des Filmischen? Der Band stellt diese Fragen in den Mittelpunkt und betrachtet Hollywood als Kreuzungspunkt kultureller, ästhetischer und ökonomischer Aushandlungen.

Mit Beiträgen von Thomas Elsaesser, Lorenz Engell, Josef Früchtl, Gertrud Koch, Michaela Ott, Martin Seel u.v.m.

Lisa Gotto, Sebastian Lederle (Hg.)
Hollywood im Zeitalter des Post Cinema. Eine kritische Bestandsaufnahme 

Bielefeld, transcript
336 Seiten, kart.
ISBN 978-3-8394-4520-4