Herausbildung eines deutschen Theaterrepertoires (1650–1730): Die Cicognini-Rezeption / Making of a Repertoire for German Theatre (1650–1730): The Reception of Cicognini


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Stefan Hulfeld
Team: Mag. Eva-Maria Hanser, Mag. Doris Hillebrand, Mag. Johannes A. Löcker, Mag. Dr. Matthias Mansky
Laufzeit: 01.10.2015–30.09.2018
Fördergeber: FWF

Weitere Informatinen unter/For more information: thespis.digital

 

Projektbeschreibung:

Giacinto Andrea Cicognini (1606–1649) war in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts einer der meistgespielten Dramatiker, dessen Stücke zum wirtschaftlichen Fundament früher deutschsprachiger Wandertruppen gehörten. Während sich nach dem Dreißigjährigen Krieg deutsche Schauspieler allmählich von ihren englischen Truppen und Spieltexten emanzipierten, erwies sich die Übersetzung italienischer und französischer Stücke als zentraler Schritt, um ein Repertoire für ein deutschsprachiges Berufstheater aufzubauen. Vom Innsbrucker Hof des Erzherzogs Ferdinand Karl von Österreich, der erstmals eine deutsche Truppe als Hofkomödianten engagierte, ging die Rezeption von Cicogninis Tragikomödien und Libretti aus, die sich in der Folge mit ihrer Spannungsdramaturgie als geeignet erwiesen, sowohl ein aristokratisches Publikum als auch die breite Masse anzusprechen.

Das Projekt untersucht erstmals systematisch die Rezeption des weitgehend vergessenen Theaterautors im deutschsprachigen Raum hinsichtlich der Herausbildung eines deutschsprachigen Berufstheaterrepertoires im Zeitraum von 1650 bis 1730. 

Die Projektarbeit erfolgt in vier aufeinander bezogenen Bereichen:

  • Erstens gilt es Dokumente und Daten zur Cicognini-Rezeption zu verifizieren sowie zu erweitern. Die Ergebnisse werden in ein webbasiertes Archiv überführt, dessen Struktur und Funktionalität auf den langfristigen Aufbau eines digitalen Wandertruppenarchivs ausgerichtet ist. Deshalb werden ExpertInnen in die Entwicklung dieser Datenbank einbezogen, die sich nach Ende der Projektlaufzeit als partizipatorisches Forschungsinstrument bewähren soll.
  • Zweitens ist der theaterhistorische Kontext der Cicognini-Rezeption zu erforschen. Die Untersu-chung der Repertoireentwicklung mit einem Fokus auf Cicognini ist dabei bezüglich der internationalen Zirkulation von Stücktexten und Dramaturgien zu problematisieren sowie hinsichtlich der Verflechtung von Berufs-, Hof- und Schultheater, da dieser Autor in allen kulturellen Milieus zur Aufführung gelangte. Schließlich bleiben die Auswahlkriterien von Berufsschauspielern im Aufbau ihres Repertoires zu eruieren, wobei es ökonomische, organisatorische und theaterpraktische Faktoren zu berücksichtigen gilt.
  • Ein dritter Arbeitsbereich unterzieht das Material Transformationsanalysen in dreifacher Hinsicht. Die Arbeit des Übersetzens aus dem Italienischen, dabei vorgenommene dramaturgische Adaptionen und schließlich das Inszenieren werden gesondert als Arbeitsprozesse verstanden. Auch vergleichend mit den Amateurtheaterformen stellt sich die Frage, wie Wandertruppen den deutschen Cicognini auf die Bühne gebracht haben, womit qualitative Fragen der Übersetzungs-, Bearbeitungs- und Aufführungspraxis in den Mittelpunkt rücken.
  • Viertens bleiben aus dem Kodex Ia 38.589 der Wienbibliothek die vier Cicognini-Übersetzungen Das verliebte und geliebte Ehrenbild, Glückselige Eyfersucht zwischen Rodrich und Delomira, Der durchleuchtige Schiffsadmiral Jason sowie Die durchleichtige Oronthea Königin von Aegypten zu transkribieren und zu edieren. Damit werden erstmals Dramen dieses Autors in zeitgenössischen deut-schen Übersetzungen verfügbar gemacht.

Der klar umrissene thematische Rahmen des Projekts soll als Ausgangspunkt dafür dienen, die Wandertruppenforschung des deutschsprachigen Raumes auf ein neues Fundament zu stellen. Ihr faktographischer Grundzug soll durch die Überführung gesicherter Daten in ein digitales Archiv längerfristig in den Hintergrund treten, damit Wandertruppenforschung Kulturgeschichte aus der Perspektive von Berufskomödianten und ihrem Überlebenskampf erforschen kann.



Project description:

Giacinto Andrea Cicognini (1606–1649) was one of the most successful dramatists of the second half of the seventeenth century, and his plays provided an important economic basis for the early professional troupes in the German-speaking area. After the Thirty Years’ War, German actors gradually emancipated themselves from the English troupes and their play texts by turning to translations from French and Italian. This was an important step towards building a German repertoire for a professional theatre. The reception of works by Cicognini in the German-speaking world began at the Court of Innsbruck, where Ferdinand Charles, Archduke of Austria, was the first to engage German players to form a court troupe. Cicognini’s suspenseful tragicomedies and libretti were well received by both an aristocratic audience and the general urban public.

This project systematically explores for the first time the reception in the German-speaking area of this almost forgotten dramatist, focusing on the development of a repertoire for German theatre in the period from 1650 to 1730.

Four related work packages have been defined to achieve this goal:

  • Available documents and data concerning the reception of Cicognini must be verified and saved, to which further information and material will be added. This information will be transferred to a web-based archive whose structure and functionality must be defined in such a way that a digital travelling troupe archive can be built up over the long term. Experts will be involved in the development of this web tool, which, after the completion of the project, will enable scholars investigating the German travelling theatre to share their research data.
  • The reception of Cicognini will be explored in a wider theatre-historical context. The international circulation of plays and plots, the interweaving of the different theatre forms in Germany and the se-lection criteria for the repertoire of professional troupes will be studied, taking into consideration the economic, organisational and practical aspects involved in the formation of a professional theatre.
  • The transformation of the Cicognini plays will be analysed on three different levels. The translations, the dramaturgical adaptations and the staging will be studied separately. In comparison with the staging done by courtiers and schools, the key question is, how the Cicognini plays were translated, adapted and staged by professional travelling troupes.
  • The four Cicognini translations from codex Ia 38.589 (Wienbibliothek) – Das verliebte und geliebte Ehrenbild, Glückselige Eyfersucht zwischen Rodrich und Delomira, Der durchleuchtige Schiffsadmi-ral Jason and Die durchleichtige Oronthea Königin von Aegypten – will be transcribed and edited, thus making German Cicognini adaptations from the seventeenth century available for the first time. 

Overall, the project defines a field of research intended to serve as a starting point in laying new foundations for research on travelling theatre in the German-speaking area. In the long run, the collection of secured data in a digital archive will lessen the hitherto mostly fact-based orientation of research in this field in favour of more relevant questions concerning the struggle for survival by professional actors and cultural history as seen through their eyes.


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